Jebediah Springfield
Ich erinnere mich an eine Folge der Simpsons, in der Lisa sich mit der Stadtgeschichte beschäftigen sollte oder wollte. Doch während Ihrer Recherche stellte sich heraus, dass der großartige Gründer der Stadt in Wirklichkeit ein Betrüger gewesen war. Man hatte ihm sogar zu Ehren ein Monument gebaut. Über die Jahrhunderte hinweg hob die Bevölkerung Jebediah Obadiah Zachariah Jedediah Springfield immer mehr auf einen Thron. Er wurde immer mehr zur positiven Identifikationsfigur zum Spiegelbild aller heroischen Dinge, die man an sich selbst gern sähe. Er war für die Bürger Springfields Gründervater, Pionier und schlichtweg ein Held. Der echte Name des „Helden“ war Hans Sprungfeld. Dieser war ursprünglich ein Pirat und keinesfalls jemand mit heren Zielen. Dem Staatengründer George Washington wollte er wohl gar mal den Kopf abbeißen.
Ist die Wahrheit immer das Beste für den Menschen?
Die Bürger wollen Lisas Wahrheit nicht hören. Sie stößt auf taube Ohren. Menschen verschließen sich gar, aus Selbstschutz, der Wirklichkeit. Einem falschen Ideal, einer falschen Person, gehuldigt zu haben, hätte die Leute wohl zutiefst verunsichert und frustriert. Diese Erschütterung des eigenen Selbstverständnisses drohte, den sozialen Frieden in Springfield empfindlich zu stören. Und so entscheidet sich Lisa, die Wahrheit nicht ans Licht zu bringen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich mich an Lisas Stelle verhalten hätte. Als wahrheitsliebender Mensch hätte auch ich vor der Wahl gestanden: Wahrheit vs. sozialer Frieden? Oder etwas abgeschwächter: Ist es nicht besser, die Menschen glauben an die positiven Ideale des Menschseins und die globale friedliche Koexistens aller Inidividuen als ständig daran erinnert zu werden, dass sie unweigerlich auch in der übernächsten Stufe der Evolution immer noch immer irrational und unmoralisch handelnde, teilweise gewalttätige Egoisten sein würden?
Binsenweisheit
In der Zeit zwischen den beiden großen jüngeren Gedenktagen Deutschlands im Oktober und November (09.11.1989 und 03.10.1990) kam mir jene Simpsons-Episode wieder in den Sinn. Hinzu kommt, dass ich erst vor Kurzem das hervorragende Buch „Der taumelnde Kontinent: Europa 1900 – 1914“ von Philipp Blom zu Ende gelesen habe und gerade dabei bin, sein nicht minder hoch informatives und auch unterhaltsames Werk „Die zerrissenen Jahre: 1918 – 1938“ zu lesen. Beide Bücher sind erneut Bestätigung für die Binsenheit, an die ich schon seit längerem immer mehr glaube: Der Sieger schreibt die Geschichte.
Vater der Einheit Deutschlands: The Hoff
Lisa Simpson und Philipp Blom sind also verantwortlich für diesen Artikel hier und für meine, ich gebe zu, leicht augenzwinkernd übertriebene These: Am 09.11.2089 (100 Jahre Mauerfall) wird man vorm Reichstagsgebäude eine Statue von David Hasselhoff errichten, mitsamt Keyboardschal und Strippenmikrophon, was an seinen Auftritt zur Silvesterfeier am 31.12.1989 am Brandenburger Tor erinnern soll. Hundert Jahre später, am 09.11.2189, wird man noch zusätzlich eine Gedenktafel davor aufstellen auf der dann stehen wird: „David Hasselhoff – Vater der Einheit Deutschlands.
Künstlernamen
Während Philipp Blom seine Bücher über das frühe und mittlere zwanzigste Jahrhundert erst zu einer Zeit veröffentlichte, in welcher die allergrößte Zahl der Zeitzeugen schon verstorben war, möchte ich die verkärte jüngere Vergangenheit schon jetzt entzaubern. „Looking for Freedom“ ist ein Song, der schon im Augst 1978 veröffentlicht wurde und am 09.10.1978 in den westdeutschen Charts auftauchte. Gesungen wurde er von Marc Seaberg, ein toller englisch klingender Name, doch leider ein Künstlername. Der Mann war Deutscher und hieß eigentlich Franz Seeberger. Der jüngst verstorbene Jack White komponierte und produzierte den Track. Auch Jack White war ein Synonym. Sein bürgerlicher Name war Horst Nußbaum. Einen Monat nach Erscheinen des Originals erschien im September 1978 die deutsche Coverversion des Songs. „Auf der Straße nach Süden“ wurde von Tony Marshall gesungen, dessen bürgerlicher Name Herbert Anton Hilger war.
The Hoff makes it a hit
Nein, ich habe nichts gegen Künstlernamen. Die drei o.g. Namen sind keine Betrüger. Um Gottes Willen! Natürlich nicht. Unter ihren bürgerlichen Namen hätten sie es wohl eher nicht so sehr zu teilweise internationalem Ruhm geschafft, trotz des jeweils von mir unbestrittenen Talentes. David Hasselhoffs Version wurde als Single im Dezember 1988 veröffentlicht. Mit den westdeutschen Charts vom 24.03.1989 stieg er erstmals in die Charts ein, und zwar auf Platz 12.
Im Frühsommer kommt alles wirklich ins Rollen
Erst drei Monate später, am 27.06.1989 öffneten der ungarische Außenminister Gyula Horn und der österreichische Außenminister Alois Mock die Grenze zwischen den ehemals zur k.u.k.- Monarchie gehörenden Länder. Trotzdem gab es noch Grenzkontrollen. Eine offizielle und folgenlose Flucht von DDR- Bürgern in den Westen war da noch nicht möglich. Das änderte sich mit dem sogenannten Paneuropäischen Picknick am 19.08.1989 in der Nähe von Sopron (Ungarn) nahe der österreichischen Grenze. Wenn ab jetzt Ostdeutsche Grenzübergänge von Ungarn nach Österreich nutzen wollten, vermerkten das die ungarischen Grenzer nicht mehr in den DDR- Ausweispapieren. Diese Grenzöffnung erschien ausdrücklich aber NICHT auf Druck des Liedes von David Hasselhoff aus dem Vorjahr. Das wäre mir neu.
Der Drops war schon gelutscht
Aber da gibt es noch andere potentielle Kandidaten, die sicherlich nicht „Nein“ zu einer Statue vorm Reichstagsgebäude sagen würden. Ich meine die Scorpions. Auch deren „Wind of Change“ wird ja oft als Wendehymne bezeichnet und wird sicherlich in Zukunft noch mehr als für den Mauerfall wahnsinnig bedeutsames Lied gefeiert und verehrt werden. Ja, Klaus Meine mag das Lied, laut Quellen, unter dem Eindruck der politischen Umwälzungen schon im September 1989 geschrieben haben. Also nach Beginn der Fluchtbewegungen und noch vor dem Mauerfall. Veröffentlicht wurde der Song als Albumtrack jedoch erst am 06.11.1990, bzw. als Single am 03.02.1991. Das war zum Einen die Mauer schon seit einem Jahr gefallen, bzw. sukzsessive abgebaut worden. Und auch die Deutsche Einheit war da schon Fakt. Der Drops war gelutscht. Die Scorpions haben also die Mauer auch nicht eingerissen.
Was bleibt noch?
Rein zeitlich hätte „Another day in paradise“ von Phil Collins als Mauerfallsong gepasst. Dieser wurde am 9.10.1989 veröffentlicht und tauchte 3 Tage vor diesem historischen Tag, am 06.11.1989, zum ersten Mal in den Deutschen Charts auf. Ich gebe aber zu, dass sowohl dessen lyrischer Inhalt als auch dessen Komposition und Produktion nicht dazu taugten, es als Befreiungshymne zu nutzen. Was bleibt noch? Man hätte vielleicht auch den Song „Just another dream“ von Cathy Dennis nehmen können. Dieser wurde am 06.11.1989 veröffentlicht. Mit seinem Late-80s-House-Sound transportiert er ausreichend Tanzenergie. Aber die Phrase „Just another Dream“ klingt ein wenig zu unheroisch und eher niederschmertternd. OK. Taugt also auch nicht als Wendehymne.
Billy Joel hat das Feuer nicht angezündet
Mein Favorit als Wendehmyne wäre vielleicht „We didn’t start the fire“ von Billy Joel gewesen. Dieser Track wurde schon am 18.09.1989 veröffentlicht und trat aber erst am 06.11.1989 in die Deutschen Charts ein. Er ist hochpolitisch und arbeitet beinahe stakkatohaft die wichtigsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts ab. Und mit seinem kraftvollen Gesang, den wütenden Drums, den E-Gitarren und seinem von mir handgstopptem Tempo von 146 bpm wäre kein Auge trocken geblieben. Sagt man so. Außerdem ist Billy Joel der Sohn jüdischer Eltern. Dieser kleine Fakt hätte vielleicht auch noch zusätzlich dazu beitragen können, das Lied, vor dem Hintergund der jüngeren deutschen Geschichte, als positiven Schlusstrich zu sehen. Der Krieg war längst vorbei und jetzt auch die Nachkriegszeit. Deutschland war plötzlich wieder groß und hätte als Wendehymne das Lied eines jüdischstämmigen Künstlers gehabt. Das wäre noch wirkmächtiger gewesen.
Huldigt The Hoff!
Es sollte nicht sein. Billy Joel stand 1989 nicht auf der Mauer, hatte keine blinkende Jacke an und auch keinen Keyboardschal um den Hals geworfen. Und als ob das nicht genug wäre: Billy Joel hatte auch nicht ein ums andere Mal erfolgreich in einem intelligenten Sportwegen das Unrecht dieser Welt bekämpft. Den Leuten war eher nach leicht kitschiger, schlageresquer Sorglosigkeit. Und außerdem hätte man die Unmenge an Text in Billy Joels Song nicht so einfach memorieren, geschweige denn mitsingen können. Und so füge ich mich als einzelnes kleines Licht den Bedürfnissen der großen Gemeinschaft meiner Deutschen Landsleute. Die Simpsons haben immer recht, vor allen Dingen Lisa. Und so sage ich hier voller Stolz und Inbrunst: David Hasselhoff hat mit „Looking for Freedom“ die Mauer eingerissen. Und David Hasselhoff heißt auch David Hasselhoff. Das ist kein Künstlername. Halleluja! Viel Spaß Euch nun mit dem Song.
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