Böhmermann und Deutschland
Was soll man schon als Deutscher zu Jan Böhmermann sagen? Aus meinem Bekanntenkreis und aus verschiedenen Twitter- Bubbles weiß ich, dass dieser Typ wahnsinning polarisiert. Die Einen halten ihn für heillos überbewertet, nervig, eine GEZ- Verschwendung oder berufen sich auf Harald Schmidt, der im Juni letzten Jahres in einem Interview sagte, dass Böhmermann „[w]eit unter [s]einer [Schmidts] Wahrnehmungsschwelle“ liege. Die Beiden haben offenbar einen kleinen Konflikt miteinander; schließlich schießen Beide gelegentlich mit Giftpfeilen aufeinander. Dabei war Böhmermann mal einer von Schmidts Witzeschreibern. Man kann also davon ausgehen, dass es zumindest auf Arbeitsebene mal einen größeren Respekt voreinander gegeben haben muss.
Ansprüche
Ich gehöre im Übrigen zu der Fraktion, die Jan Böhmermann für einen wahnsinnig begnadeten und außergewöhnlich talentierten Künstler halten; ich gehöre also zu den Anderen. Auch wenn sich die Stage Persona vom privaten Jan Böhmermann sicherlich unterscheiden lässt, erkennt man in Böhmermanns allfreitäglichen Bissigkeiten einen eindeutigen tiefverwurzelten moralischen Kompass. In all seinem kreativen Tun merkt man, m.E., stets den Anspruch, die Deutschen, wie soll ich sagen, besser zu machen. Man spürt bei ihm immer die subkutane Wut über soziale Ungerechtigkeiten, Bigotterie und Doppelmoral. Über diesen Anspruch hinaus, all diese Dinge den Deutschen auszutreiben, versucht er zusätzlich, den Deutschen auch ihre Stocksteifigkeit zu nehmen. Und „on top of that“ versucht er auch noch von Zeit zu Zeit, den Deutschen das Lachen über sich selbst beizubringen. (Und da wären wir schon bei „Allemagne Zero Points (Official Release)„.
Weltverbesserung
Ich bin aber noch nicht fertig mit Böhmermann. Der größte Unterschied zu Harald Schmidt besteht also darin, dass sich Böhmermann eben nicht, so wie Schmidt, hinter (altersbedingtem?) resignierendem Zynismus versteckt. Nein, der junge, wilde Böhmermann will tatsächlich die Welt verbessern. Klingt blöd, aber diese simple Aussage trifft meiner Meinung nach zu.
Genius at work
Sein neuester Geniestreich ist der Song „Allemagne Zero Points (Official Release)„. Danke, liebe Freundin, Du weißt, wenn ich meine, dass Du mir diesen Song gestern (9.5.23) als Link geschickt hast. Textlich spielt das Lied zu Beginn mit dem negativen deutschen Bild im Ausland und der wenig ruhmreichen Geschichte. Darüber hinaus geht es zum Einen natürlich um die zweifelhafte Kandidatenauswahl Deutschlands für den ESC aber auch um den Umgang mit unserer meist miesen Punkteausbeute. Dass Böhmermann die miese Punkteausbeute in einen Kontext mit der deutschen Geschichte stellt, ist eventuell nicht superweit hergeholt. Der Text wurde übrigens von Böhmermann selbst verfasst und erinnert an Morissey, der sich auch immer wieder kritisch mit „seinem“ England auseinander setzt(e).
Angriff auf die Synapsen
Rein kompositorisch und produktionstechnisch ist dieser Track wahnsinnig clever gemacht. Der stakkatoartig gesungene Refrain über eben solchen stakkatohaften Akkorden brennt sich derart schon beim ersten Hören in die Synapsen ein, dass man zumindest den Refrain sofort im Kopf hat und anschließend jemand Anderem vorsummen könnte. Dazu kommt das musikalische Mittel des Call and Response– Singens: „Allemagne Zero Points…(three words of tender). .Allemagne Zero Points…(unconditional surrender)„. (Call and Response siehe auch „The look of love“: „Who’s got the look?…(I don’t know the answer to that question!)“) Man kriegt den Song nicht mehr aus dem Kopf. Und das genau meine ich mit „außergewöhnlich“ talentiert, wenn ich von Böhmermann spreche. Während andere Künstler einen vielleicht witzig ironischen Monolog zum ESC halten würden, verbindet Böhmermann das mit einer wahnsinnig eingängigen Popkomposition, die hochprofessionell produziert worden ist. Und er singt es natürlich auch selbst.
Beyond großartig
Dieser Blog ist eventuell wahnsinnig gut dafür geeignet, meine Thesen auf die Probe zu stellen. Sollten sich wieder nicht englischsprachige Erdenbürger bei mir verirren und schließlich in diesen Song reinklicken, würden sie jenen Track mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für einen richtig geilen Popsong aus crazy, good old Germany halten. Die zweite Ebene, die textliche, die mindestens ebenso genial ist, würde sich den Leuten gar nicht offenbaren. Oh, Jan Böhmermann! Ich bin dankbar, dass es bei uns einen solchen Künstler wie Dich gibt. Lass Dich nicht unterkriegen von den Hatern. Und nun, Leute, viel Spaß mit Elton John und „Allemagne Zero Points (Official Release)„. Ich meine natürlich Jan Böhmermann.
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